Beim Medical-Training lernst Du, wie Du Deinen Hund mit Hilfe von Koorperationssignalen auf diverse Pflege- und Behandlungsmaßnahmen vorbereiten kannst. Im Fokus steht dabei das Wohlbefinden und die freiwillige Mitarbeit Deines Hundes.
Perspektivenwechsel
Um zu verstehen warum Medical-Training auch zur Grundausbildung Deines Hundes gehören sollte, musst Du die Welt einmal mit seinen Augen sehen:
Stell Dir vor, du wirst von jemanden in eine Arztpraxis gebracht, ohne dass man Dir sagt, um was es geht. Deine Fragen vor Ort werden einfach ignoriert. Nun sitzt Du mit bangem Gefühl im Wartezimmer. Die Stimmung ist auch bei den anderen Patienten angespannt, was Dich nur noch mehr beunruhigt. Ein anderer Patient wird aufgerufen. Er reagiert nicht auf die Aufforderung, also wird er am Arm gepackt und mitgezogen. Er versuch,t bei der ersten Gelegenheit, durch die offene Tür zu flüchten, doch er wird zurückgehalten und unter Protest den Flur entlang ins Behandlungszimmer geschleift. Du starrst ihm mit weit aufgerissenen Augen hinterher und fragst Dich, was er wohl für ein Problem hat. Dann kommt die Arzthelferin erneut ins Wartezimmer. Ohne etwas zu sagen, packt sie nun auch Dich am Arm und zieht Dich vom Stuhl. Völlig perplex lässt Du Dich von ihr in eins der Behandlungszimmer führen. Deine Fragen bleiben unbeantwortet. Stattdessen verweist sie Dich genervt auf den Behandlungsstuhl. Kaum, dass Du Dich hingesetzt hast, kommt der Arzt ins Zimmer. Ohne Dich eines Blickes zu würdigen, schaut er noch kurz auf den Bildschirm seines Computers, dann zieht er sich Handschuhe an und sortiert merkwürdige glänzende Gerätschaften auf einem kleinen Tisch. Als er mit einem dieser Dinge zu Dir kommt und Dich ohne zu fragen am Kinn packt, schreckst Du zurück. Du versuchst aufzustehen, doch Du wirst von ihm sofort zurück in den Behandlungsstuhl gedrückt. Er raunzt Dich an, dass Du Dich nicht so anstellen sollst. Du reagierst ungehalten und verunsichert. Als Du erneut aufstehen willst, packen Dich zwei Helfer und halten Dich mit eisernem Griff an Armen und Beinen fest. Dein Herz rast und Du bekommst Panik. Mit aller Macht versuchst Du Dich zu befreien, Du strampelst, schreist und schlägst um Dich, doch sie lassen nicht los. Und dann wird plötzlich alles dunkel um Dich herum...
Als Du wieder zu Dir kommst, bist Du erneut im Wartezimmer. Du fühlst dich elend, alles dreht sich und Du brauchst eine Weile, um zu realisieren wo Du eigentlich bist. Als Du wieder klar denken kannst, verlässt Du fluchtartig die Praxis und schwörst Dir nie wieder auch nur einen Fuß dort hinein zu setzen!
Dabei hätte es so einfach sein können, hätte man Dir erklärt, dass der Arzt nur kurz Deine Zähne kontrollieren wollte...
Keine schöne Vorstellung, oder?
So oder so ähnlich geht es aber vielleicht auch Deinem Hund, wenn Du mit ihm zum Tierarzt gehst. Oder aber auch, wenn Du etwas nachschauen, behandeln oder ihn „einfach nur“ bürsten willst. Der Pieks mit der Nadel oder das Ziepen beim Bürsten sind oftmals nicht mal die Hauptgründe, weshalb ein Hund sich fürchtet. Es ist vielmehr die Angst vor dem Unbekannten und das Gefühl keine Kontrolle mehr darüber zu haben, was mit einem passiert, was ihn panisch werden lässt. Wie oben im Beispiel geschrieben, ist es eine beängstigende Vorstellung, wenn einem niemand zuhört, niemand Rücksicht auf einen nimmt und einfach irgendetwas gemacht wird. Je nach Charakter verfallen dann manche Hunde in den Kampf- oder Fluchtmodus und wieder andere erstarren einfach und trauen sich nicht, überhaupt etwas zu tun. Aber alle haben eines gemeinsam: Angst.
Die Macht der Wiederholungen
Ich hatte vor kurzem mehrere Termine bei meiner Zahnärztin, um mir Füllungen machen zu lassen. Der letzte Termin dieser Art war vor knapp 10 Jahren und in einer anderen Praxis. Ich wusste also nicht so recht was mich erwartete und war ziemlich nervös. Bevor es losging, erklärte sie mir aber in aller Ruhe was bei dieser Sitzung gemacht werden würde und sagte mir, dass ich jederzeit die Hand heben konnte, falls irgendetwas unangenehm sein sollte. Dann würden wir eine Pause machen. Schon allein diese Vorstellung beruhigte mich. Als es losging, begleitete sie all ihre Schritte mit Worten. Sie warnte mich vor, wenn es „rumpeln“ oder „drücken“ würde und erklärte mir auch, warum es sich so anhören oder anfühlen würde. An diesem Termin sollten insgesamt 3 Zähne gemacht werden. Beim zweiten Zahn erklärte sie mir wieder alles Schritt für Schritt, aber da war es ja schon nicht mehr neu und es genügte die Kurzfassung. Beim dritten Zahn musste sie mir nichts mehr erklären, ich wusste selbst, welcher Schritt wann kam und wann ich z.B. die Augen schließen sollte. Mit jedem Zahn wurde ich ruhiger und es ging irgendwann nur noch darum abzuwarten, bis wir fertig waren. Darauf folgten noch 3 weitere Sitzungen mit exakt dem gleichen Inhalt und ich kannte den Ablauf bald im Schlaf. Natürlich würde ich die Termine dennoch nicht als Tageshighlight bezeichnen, aber ich fürchtete mich auch nicht davor. Ich ging freiwillig hin, nahm meinen Platz ein und konnte entspannt mitarbeiten, weil ich mich sicher fühlte.
Und das beschreibt exakt das, was wir im Medical Training mit unseren Vierbeinern erreichen wollen. Genau wie wir uns wohler fühlen, wenn sich der Arzt Zeit für uns nimmt und uns genau erklärt, was er wie, wann und weshalb tut, so fühlen sich auch unsere Hunde sicherer, wenn sie wissen, was passiert. Da wir es ihnen aber nicht einfach mit Worten erklären können, müssen wir einen anderen Weg finden, sie auf die Situation vorzubereiten. Und genau hier kommt Medical Training ins Spiel. 😊
Kommunikation und Kooperation durch Targettraining
Ein Baustein im Medical Training ist der Aufbau von Kooperationsverhalten. Das sind Signale, die Deinem Hund eine klare Aufgabe geben. z.b. ruhig auf einem Gegenstand stehen, das Kinn auf einem Hocker ablegen, einen Gegenstand im Maul halten, den Nasenrücken gegen Deine Hand drücken oder sich auf einer Matte auf die Seite legen. Du bringst Deinem Hund also zunächst bei, wie er sich positionieren soll. So wie Kinder auch erst lernen müssen, dass sie sich auf den Behandlungsstuhl setzen und den Mund öffnen sollen.
Durch das Ausführen des Kooperationsverhaltens gibt Dir Dein Hund sein Einverständnis mit der Behandlung zu starten – so wie der Zahnarzt auch erst beginnt, wenn Du Dich auf den Behandlungsstuhl gesetzt hast.
Die Gegenstände oder Körperteile, die Dein Hund berühren soll sind Targets – das bedeutet „Ziele“.
Dein Hund lernt ein solches Target auf eine bestimmte Art und Weise zu berühren und diese Position auch unter Ablenkung zu halten. Ablenkungen sind in diesem Fall z.B. Deine Bewegungen, Gegenstände, die Du auf ihn zubewegst oder Berührungen. Parallel machst Du ihn mit all den Geräten und Geräuschen oder Gerüchen vertraut, die bei einer Behandlung eingesetzt werden und bringst ihm so bei, dass es keinen Grund gibt, sich davor zu fürchten. Du lernst die Behandlung in viele kleine Teilschritte einzuteilen, arbeitest bei Bedarf mit Ankündigungen und wiederholst jeden Schritt so lange, bis er Deinem Hund vertraut ist.
Das Ziel ist es, eine Handlung nur so lange auszuführen, wie es Dein Hund schafft freiwillig mitzuarbeiten und nicht erst aufzuhören, wenn er die Übung abbricht! Du willst ja auch nicht, dass der Zahnarzt solange bohrt, bis Du vom Stuhl springst, oder? 😉
Solltest Du dennoch übers Ziel hinausschießen, ist das Verlassen des Targets wie ein Ausschaltknopf für Dich – so wie das Handheben beim Zahnarzt. Damit sagt Dir Dein Hund „Stopp! Das wird mir gerade zu viel!“ und sollte für Dich heißen, dass Du sofort aufhörst und beim nächsten Versuch behutsamer vorgehen solltest.
Kann Dein Hund die Position hingegen halten und kommt er auch nach regelmäßig eingestreuten Pausen (meine Zähne wurden auch nicht alle an einem Termin gemacht 😊 ) wieder freiwillig zurück zum Target, weißt Du, dass er Dir sein „OK“ gibt, weiter zu machen. Dann ist er entspannt und findet die Übung in Ordnung. Wird er jedoch zögerlich beim Einnehmen der Position oder verlässt er das Target sogar, siehst Du, dass es zu schwer für ihn war und Du kannst Dein Vorgehen entsprechend anpassen. So erkennst Du genau „wo der Schuh drückt“ und weißt welchen Schritt Du vermehrt üben musst. Dein Hund lernt, dass er auf diese Art mit Dir kommunizieren kann und Du ein „Stopp“ von seiner Seite aus respektierst.
Der Einsatz von Targets im Training hilft Deinem Hund dabei zu verstehen was Du von ihm willst und gibt ihm die Möglichkeit aktiv mitzuwirken. Dadurch erlangt Dein Hund Kontrolle in einer für ihn schwierigen Situation. Und Kontrolle über etwas zu haben gibt Sicherheit. So wie mir beim Zahnarzt schon allein die Tatsache gereicht hat, dass ich nur die Hand heben brauchte, um aufzuhören, so braucht Dein Hund nur das zuvor trainierte Kooperationsverhalten zu beenden. Und weil man weiß, dass man „Stopp“ sagen kann, ist man ruhiger und macht besser und länger mit. Dein Hund wird immer entspannter, weil er größeres Vertrauen in diese Art „Abmachung“ zwischen Euch bekommt und er lernt, dass er weder knurren noch schnappen oder flüchten muss, damit Du ihn verstehst. Eure Kommunikation wird im Allgemeinen sehr viel feiner und Eure Bindung wird gestärkt.
Medical Training ist eine immense Bereicherung für das Wohlbefinden Deines Hundes und eine sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit. Mit jeder Trainingseinheit steigerst Du die Lebensqualität Deines Vierbeiners, da Du Ängsten entgegenwirkst und / oder ihnen vorbeugst.
Jeder Hund hat es verdient möglichst angstfrei durchs Leben zu gehen.
Kommentar schreiben